Von bunten Hunden und Paradiesvögeln Oder antropomorphe Selbstinszenierungen in der queeren Community

Essay, HOX Magazin 1, September 2020, Lena Seefried

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„Weisst du wie dich die anderen aus der Klasse über uns nennen?!“mit welchem Wort genau sie mich damals bezeichneten, war mir nach dieser Frage eigentlich egal, aber dass dieses Wort etwas mit „anders“ und „komisch sein“ zu tun haben würde, war natürlich vorprogrammiert. „Sie nennen dich bunter Hund, weil du bist bekannt wie ein bunter Hund!“ Okay, wow. Da war ich nun, 15 Jahre alt, irgendwie damals als bisexuell geoutet, mit bunten Haaren, Emopunk, laut, eigener Kopf – also die da, die sich selbst ausschliesst, nicht dazu gehört, nicht dazugehören will, ihr eigenes Ding macht. 

Laut der Website des Kindermagazins GEOlino - die ja bekanntlich (bei Kindern zumindest) Spezialisten sind, wenn es um Tiere geht - wird eine Person, die als bunter Hund bezeichnet wird, wie folgt beschrieben: „[…] wenn jemand sehr auffällig ist und deshalb überall bekannt ist. Da die meisten Hunde einfarbig oder zweifarbig gescheckt sind, ist ein Hund mit mehrfarbigem Fell besonders auffällig. Früher waren mit der Redewendung übrigens nicht unbedingt nur das auffällige Aussehen der betreffenden Person gemeint, sondern auch ihre negativen Charakterzüge. Heute kann man die Redewendung aber getrost verwenden, ohne den besten Freund damit zu beleidigen.“ 

Woher kommt diese Annahme, dass die Redewendung „bekannt wie ein bunter Hund“ nicht eigentlich doch etwas Negatives impliziert, wer hat das festgelegt? Was meinten die Kids, die ein bis zwei Jahre älter als ich waren und über mich auf dem Pausenhof gelacht und getratscht haben, damit?

In unserer Gesellschaft gibt es viele Menschen die als „bunte Hunde“, „Paradiesvögel“, „Nachtvögel“, „Wilde“ und „Bordsteinschwalben“ gelten. Wir sind trans, homo, bi, asexuell, praktizieren BDSM, sind poly und non-binär (die Liste kann unendlich so weitergeführt werden) – sprich queer. Dieses ungreifbare Wort queer, bezeichnete ursprünglich so etwas wie „stören“, „in die Quere kommen“, „merkwürdig“ und „sonderbar“. Mit den aktiven Kämpfen der LGBTIQ+ Gemeinschaft - angefangen bei den Stonewall Riots 1969 in New York City - für Toleranz und Rechte, hat sich die Community den Begriff queer zu Eigen und zur Selbstbezeichnung gemacht. Mit Stolz (pride) und Selbstermächtigung (empowerment) ist er ein Sammelbegriff für all jene, die in der Schule als bunte Hunde bezeichnet wurden und nicht der heterosexuellen Norm entsprechen. Mittlerweile gibt es einige von uns, die sich wirklich selbst als Hunde (Puppys) oder Otter, Bären, Furrys und Ponys bezeichnen oder als Dragqueens/-kings/-personae unter Namen wie Soya the Cow und Miss Steak (beide Performer*innen haben eine Affinität zu Kühen) auftreten. 

Antropomorphismus erklärt die Übertragung in der Gestalt und/oder im Verhalten von menschlichen Eigenschaften auf Tiere. Darstellungen von Mensch-Tier-Wesen sind so alt wie die Menschheit selbst, denkt Person zum Beispiel an die Grosse Sphinx von Gizeh, eine gigantische Darstellung eines liegenden Löwen mit einem menschlichen Kopf, dessen Erbauung ca. auf den Zeitraum zwischen 2520 bis 2494 v. Chr. datiert wird. Seit unserer Kindheit wachsen wir mit Tieren, die sprechen auf: Tiere, verkleidet als Helden und Tiere, die uns menschliches Verhalten und dessen Codes erklären wollen. Denkt an Mickey Mouse, Catwoman, das Musical Cats – kennt jemand von euch Oggy und die Kakerlaken? (ups, Millenial Generation alert…) – Tom und Jerry, der Regenbogenfisch und viele, viele weitere. 

Sogenannte antropomorphe Wesen tummeln sich nicht nur im Kinder- und Erwachsenenprogramm verschiedener TV-Sender, sondern besonders in der queeren Community. Sie beschnuppern sich, wollen beritten, angeleint und gekrault werden. Ich frage mich: Warum kommen tierische Selbstinszenierungen vermehrt in der queeren Community vor?

Die Rapperin Sookee wagt einen Erklärungsversuch: „Der halbe Meeresgrund ist Inter* oder wechselt sein Geschlecht / Ftm, mtf, nicht binär, alles echt! / Chromosomen sind nicht alles und Hormone im Wandel / Es gibt keine Behandlung, niemand wird doof behandelt / Sie haben One-Night-Stands oder leben monogam / Kein Tier hat im Schrank je seine Lebenszeit vertan / Schwule Schwäne adoptieren verlassene Eier / Und erziehen die geschlüpften Babys dann gemeinsam / Albatross-Lesben geben sich nen Abend hin / Und leben dann als Familie mit der Partnerin / Flamingos, Störche, Geier und Möwen / Es gibt viele queere Vögel die gern feiern und vögeln.“

Das Tierreich ist vielfältig und bunt – okay, Sookee, super Message! Aber ist das nicht fast etwas zu einfach gedacht? Laut dem amerikanischen Autor Jack Halberstam befinden sich Mitglieder der queeren Community in einer queeren Zeitlichkeit. Diese sogenannte queere Zeitlichkeit, die entgegen der nicht queeren Zeit läuft, ermöglicht, laut Halberstam, all die Lebenszeitpläne, welche nicht dem Normativen entsprechen. In dieser nicht-normativen Zeitlichkeit leben die schwulen Schwäne, die Kinder adoptieren und die männlichen Seepferdchen, die Babys auf die Welt bringen. Für die Schwäne und Seepferdchen ist queer gleich normativ. Also irgendwie gar nicht so weit hergeholt, dass sich queere Personen Verhaltensweisen aus dem Tierreich abschauen und selbst verkörpern wollen.

Also zurück zum Hund. In vielen Sprachen wird das Wesen des Hundes für Schimpfworte missbraucht. Hunde unterwerfen sich, winseln und jaulen. Und es gibt Menschen, die sich Pudelwohl in der Rolle des treuergebenen Wauwaus fühlen. Das Puppy Play ist eine softe Form des BDSM, es gibt den Welpen, also Puppy mit einem Namen, wie zum Beispiel Strolch, und es gibt den*die Master oder Trader bzw. den*die Besitzer*in des Welpen. Die Puppys tragen Masken mit Öhrchen und Schnauze, Geschirr, Halsbänder, Leinen mit Lack und Latex. Gespielt wird zu zweit, zu dritt oder im Rudel, zu Hause, in Clubs oder in der Öffentlichkeit. Ich lese Interviews von Puppys, die die Praxis des Hund-sein mit einem nie dagewesenen Freiheitsgefühl verbinden. Sie geben ihre menschlichen Verpflichtungen für einen Moment an ihre Master ab, wortwörtlich in die Hände ihrer Besitzer*innen. Die meisten Mitglieder dieser Community, welche sich in der Öffentlichkeit präsentieren, sind Männerliebende Männer, doch Puppy Play ist auch bei vielen beliebt, die nicht weiss, homosexuell und Cis-gender sind. 

Aus einer ähnlichen Subkultur, die vor allen Dingen stark in den USA vertreten ist, stammen die Pony und Horse Player. Auch hier gibt es einen dominanten und einen sich unterwerfenden Part – handler and horse. ‘It’s about the experience of being free, wild or other’, erzählt ein Pony in einem persönlichen Erfahrungsbericht. Auf Wettbewerben treten sie gegeneinander an, kommunizieren nonverbal, werden gestriegelt, tragen Zaumzeug und es wird sich um sie gekümmert. Viele Ponys haben nur bedingt eine sexuelle Beziehung zu ihrem Trader, da das Spiel und die Verkörperung von Pferd und Besitzer*in im Vordergrund stehen. 

Habt ihr schon einmal von Zootopia oder Furry Fandom gehört? Bitte jetzt das Smartphone schnappen, googeln und euch diese wunderschönen, bunten, felligen, knuffigen, mit Knopfaugen ausgestatteten Wesen anschauen. Sind sie nicht schön? Das Furry Fandom ist eine Sub- und Internetkultur antropomorpher Kunst, welche ihren Ursprung in den 1970ern Jahren inspiriert von Comics und Animes in den USA fand. Furrys tragen einen sogenannten Fursuit, also einen Anzug aus Fell und treffen sich auf sogenannten Conventions mit Gleichgesinnten. Diese Fursuits sind nach ihren Vorstellungen designt, in blau, gelb und Glitzer, mit Schnabel, Klauen oder Schweif. Jeder Furry hat seinen eigenen Charakter und Namen. ‘Being different is the norm’, sagt Syber, eine Furrysuit Herstellerin. ‘We’re all at the same playing field!‘. Auf was ich bei der Recherche über das Furry Fandom immer wieder stosse ist, dass die Community das wichtigste für die Furrys ist. Ein Grossteil der Furrys sehen die eigene Sexuelle Identität - eigener Studien der Community nach - irgendwo im Spektrum (gender)-queer. In Youtube-Videos erzählen viele Furrys davon, dass sie als Kinder und Teenager wenige bis keine Freund*innen hatten, da sie die komischen, nerdigen Kids waren. Viele von Ihnen wurden ausgegrenzt und haben im ‘Furry Fandom’ zum ersten Mal in ihrem Leben ein sicheres zu Hause gefunden. 

Ob Puppy, Pony oder Furry – die Menschen dieser Communites sind Ingenieur*innen, Verkäufer*innen, Reinigungskräfte, Anwält*innen, Kunstschaffende – Klassen und ökonomisches Kapital spielen hier eher weniger eine Rolle. 

Ein paar haarige und weniger haarige Wesen dürfen hier natürlich nicht auf der Strecke bleiben. Es gibt eine Gruppe von (meist) schwulen Männern, die sich selbst als Bär oder Otter bezeichnen. Und weil sich Menschen, eben auch queere Menschen, gerne gegenseitig in Schubladen stecken, gibt es auf Grindr (Dating App, die meistens von Männer-liebenden Männern genutzt wird) die sogenannten Grindr Tribes. Unter diesen 12 Kategorien befinden sich die Bären, Personen die eine ausgeprägte Behaarung besitzen und diese manchmal auch bei Sexualpartner*innen vorziehen. Teilweise definieren sich Bären auch über ihr vom Schönheitsideal abweichendes Körpergewicht. Auf ihrer offiziellen Fahne befindet sich eine Bärentatze. Und dann gibt es noch die Otter, die nächsten Verwandten zu den Bären, die eben auch behaart sind, aber nicht korpulent. 

Was mir bei all diesen Gruppierungen auffällt: es geht darum in eine Rolle zu schlüpfen bzw. in ein Tier, welches Person aber selbst verkörpert und dem Tier charakterlich-persönliche Eigenschaften gibt. Ein Entfliehen aus einer Welt in der es heisst es sei «krank» und es «schicke sich nicht» sich als Tier zu verkleiden. Für viele ist es viel mehr als das: Es gehört zu ihrer Identität, zu ihrer Sexualität, zu Ihrer Lebensweise.

Dass Menschen ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt werden aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Sexualität und Gender, ist ja nichts neues. Mittlerweile kennen wir Begriffe wie Strukturelle Diskriminierung und sind uns bewusst, dass sehr vieles mit dem wir aufgewachsen sind und an das wir glauben konstruiert ist. In dieser konstruierten Welt von Vorurteilen und Ungerechtigkeiten, Frau und Mann, Homo und Hetero, Schwarz und weiss, denke ich gerne an mein 15-jähriges Ich zurück, welches ausgegrenzt, belächelt und beschimpft wurde. Wie selbstbewusst ich war und mir dachte: «Dann bin ich eben der Paradiesvogel. Gefällt mir besser als der sich als Norm begreifende Einheitsbrei eine Klasse über uns.»